Im Geschichtsbuch geblättert: Das Hussitenfest im Wandel der Zeit

Besucht man heute das Hussitenfest in Bernau, steht vor allem gute Unterhaltung im Vordergrund. Die ganze Stadt ist auf den Beinen. Es ist ein Stadtfest, bei dem man sich trifft, etwas trinkt, ins Gespräch kommt und das Tanzbein schwingt. Nur wenige machen sich über den historischen Kern des Festes Gedanken. Doch ein Blick zurück lohnt sich, spiegelt er doch die europäische Geschichte, ist vielfältig an Kontinuitäten und Brüchen, Inhalt von Sagen und Mythen.

600 Jahre zurück
Im 15. Jahrhundert brodelte es im christlichen Europa, die Kirche und mit ihr das Papsttum waren gespalten. Die ersten vorreformatorischen Bewegungen sind entstanden. Am erfolgreichsten waren in dieser Zeit die Ideen des böhmischen Reformators Jan Hus, aufgrund derer er im Jahre 1415 als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.

Nach seinem Tod eskalierte der Streit um die Erneuerung der katholischen Kirche und die Krone in Böhmen. Es kam zu Unruhen und schließlich zum Krieg. Die Anhänger Hus` – und hier kommen wir zu den Hussiten – forderten im Wesentlichen eine freie Predigt, die Armut der Kirche, die Bestrafung der Todsünden und den Laienkelch.

Papst und Kaiser weigerten sich, diese Forderungen anzuerkennen und zogen in mehreren, erfolglosen Kreuzzügen gegen die Böhmen. Die Hussiten ihrerseits gingen ab den 1420er Jahren in die Offensive. Mehrere Feldzüge brachten sie in die Mark Brandenburg und einer im Frühjahr des Jahres 1432 bis vor die Tore Bernaus.

Damals zählte die Stadt etwa 3.000 Einwohner. Eine starke Befestigungsanlage umschloss die Stadt. Noch heute prägt die wuchtige, gut erhaltene acht Meter hohe Stadtmauer das Bild von Bernau. Durch Handel mit Bier und Tuchen waren die Bernauer zu Wohlstand gekommenen, vorgewarnt und gut gerüstet. Wie viele Hussiten vor Bernau lagen und wie intensiv die Kampfhandlungen in diesen Tagen waren, lässt sich auf Grundlage der vorhandenen Quellen nicht bestimmen.

Sagenumwobene Geschichte
Lücken in der Geschichtsschreibung bieten seit jeher Raum für Spekulationen, so auch in Bernau. Bis heute ist das Geschehen im Frühjahr des Jahres 1432 sagenumwoben. Einmal ist es der heiße Biertreber, der zur Verteidigung von den Mauern geschüttet wird. Ein anderes Mal ist es mit Schlaf- und Rauschmitteln versetztes Bier, das die Hussiten kampfunfähig macht. Historisch belegbar ist dies nicht, auch wenn es sich wunderbar erzählen lässt. Die tatsächlichen Ereignisse im April 1432 bleiben im Dunkel der Geschichte. Fakt ist, die Stadt wurde nicht eingenommen und entging schlimmeren Zerstörungen.

Ein identitätsstiftendes Fest mit Tradition
Anzunehmen ist, dass die Freude über den Ausgang des Angriffs groß gewesen sein muss, nicht zuletzt, da die Hussitenkriege mit extremer Grausamkeit geführt wurden. Die Bernauer, damals katholischen Glaubens, gelobten, den Tag der Befreiung von der hussitischen Bedrohung jedes Jahr durch Prozession und Gottesdienst zu feiern und erlegten diese Pflicht auch ihren Nachfahren auf.

Unterbrochen wurde diese Tradition wahrscheinlich nur durch Kriegszeiten, Pestwellen oder schieren Geldmangel. Bis heute ist der Sieg über die Hussiten über die Grenzen Bernaus hinaus bekannt, prägt die städtische Identität und das kulturelle Gedächtnis. Eine überaus bemerkenswerte Kontinuität. Die prägendste Veränderung erfuhr das Hussitenfest seit dem 19. Jahrhundert, als sich der reine Gedenktag allmählich in ein Festgeschehen im heutigen Verständnis wandelte. Aus Prozession und Gottesdienst wurden Festumzüge und Festspiele. Im Jahr 1882 gab es den ersten historischen Festumzug, im Jahr 1911 das erste Hussitenfestspiel auf der eigens angefertigten Freilichtbühne im Stadtpark. Der Name Hussitenfest ist seit dieser Zeit in den Quellen und Chroniken zu finden, der Stadtchronist August Wernicke widmet ihm
sogar einen mehrseitigen Eintrag.

Paradoxer Begriff
Hinterfragt wird das Paradoxon, ein Fest nach seinen Angreifern zu benennen, nicht. Denkbar ist, dass im Laufe der Jahrhunderte aus der „alljährlichen Feier der Hussitenniederlage“ der Begriff Hussitenfest entstand. Vielleicht passte die sperrige Formulierung nicht mehr in den Zeitgeschmack oder das wachsende Volksfest ließ sich mit diesem Titel nicht bewerben. Zumindest ist zu beobachten, dass das Hussitenfest immer populärer wurde. Bereits 1832, schreibt Wernicke, wurde die „Feier dem auswärtigen Publikum bekannt gemacht“, zum 450. Hussitenfest 1882 gaben sich gar der Kronprinz Friedrich III. und seine Gemahlin Victoria die Ehre.

Im Jahr 2023 begingen wir das 30. Hussitenfest nach der Wiedervereinigung. Es hat die Irren und Wirren des 20. Jahrhunderts, politische Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten und die zeitweise Abschaffung durch die DDR-Regierung überstanden. Heute feiern wir gemeinsam mit Freunden aus der Tschechischen Republik ein Fest der Freundschaft und Weltoffenheit. Die gemeinsame Erinnerung an die historischen Ereignisse spaltet nicht mehr, sondern vereint.

Franziska Radom,
Museumleiterin der Stadt Bernau bei Berlin

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