23.06.2008
160 Jahre Dornröschenschlaf
160 Jahre Dornröschenschlaf – Die Totenkronen in St. Marien Bernau
Eine Ausstellung über die Totenkronen in St. Marien Bernau wird am 3. Juli um 15 Uhr in der Marienkirche eröffnet. Dabei werden erstmals seit über 160 Jahren der Öffentlichkeit die einzigartigen Bernauer Totenkronen wieder präsentiert, eine Sammlung, die auch im bundesdeutschen Maßstab ihresgleichen sucht. Erarbeitet wurde die Ausstellung von Frau Dr. Sylvia Müller in Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirchengemeinde St. Marien.
Nur für den Zeitraum der vier Ausstellungswochen, bis zum 3. August täglich von 14 bis 16 Uhr, können die schmuckvollen Totenkronen in ihren verglasten Gehäusen, von denen ein großer Teil in den zurückliegenden Jahren dank zahlreicher Sponsoren restauriert werden konnte, aus der Nähe betrachtet werden.
Dr. Sylvia Müller erläutert den besonderen Wert der Sammlung:
„Totenkronen wurden im gesamten deutschsprachigen Raum – und darüber hinaus – den unverheiratet Verstorbenen als Lohn für ihre Jungfräulichkeit und als Ersatz für die Brautkrone verehrt, die sie zu Lebzeiten entbehren mussten. Sie waren das wichtigste Attribut des als Ersatzhochzeit und symbolische Himmelshochzeit verstandenen Ledigenbegräbnisses. Man gab sie mit ins Grab oder stellte sie als Gedächtnismale in den Kirchen aus. Für ihre Präsentation fertigte man gern Konsolenbretter oder verglaste Gehäuse und Rahmen an. In Brandenburg brachten die farbenfrohen Totenkronen in einem kaum mehr vorstellbaren Maße ‘Poesie und Leben’ in die Gotteshäuser (Fontane). Seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden sie jedoch massenhaft als ‘Staubfänger’, ‘Ablenkung für die Gläubigen’ und ‘unsoziales Protzentum’ entfernt.
Bis 1846 hingen auch an den Wänden und Pfeilern von St. Marien in Bernau zahlreiche Totenkronen auf Konsolbrettern und verglasten Kästen. Im Rahmen einer Kirchenrenovierung verkaufte man die Kronenbretter als Brennholz, die aufwendigen Kronenkästen wurden auf dem sog. Schülerchor deponiert. Danach gerieten sie in Vergessenheit. Als sie im Jahr 2001 von der Verfasserin wieder entdeckt wurden, stellte sich heraus, dass von einst 19 Kronengehäusen noch zehn Kästen mit elf Kronen aus der Zeit von 1796 bis 1851 vorhanden waren. Gewidmet sind sie jungen Bernauern im Alter bis zu 30 Jahren.
Noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts war es hier allgemein Sitte, dass bei den Beerdigungen junger unverheirateter Leute aus dem Bürger- und Beamten-Stande die Mädchen eine von künstlichen Blumen hergestellte sog. Krone schenkten, an die verschiedene mit dem Namenszeichen der Geber und der Jahreszahl in Gold- und Silberstickerei, sowie mit Silber- und Gold-Fransen ec. verzierte, oben schleifenartig gelegte seidene Bänder angeheftet wurden, welche größtenteils einzeln von den Mädchen pp. geschenkt waren. Die qu. Krone stand bei dem Leichenbegängnis auf der Bahre resp. dem Sarge am Kopfende desselben und wurde nach der Beerdigung im Kreise der mitgegangenen Mädchen nach dem Trauerhause zurückgetragen. Die Eltern pp. ließen dann zu derselben eine Tafel mit dem Namen, Geburts- und Sterbetage ec. anfertigen und Krone und Tafel in der Kirche als Epitaphium aufhängen. Solche kleinen Epitaphien waren noch bis zur Kirchen-Renovation im Jahre 1846 in einer großen Anzahl in der St. Marien-Kirche vorhanden, welche sich größtenteils an der südlichen Kirchenwand befanden. In diesem Jahrhundert wurde es auch üblich, an Stelle der Tafeln schön geformte Glaskasten mit Namen- pp. Bezeichnung zum besseren Schutze der Kronen anfertigen zu lassen. ’ (Wernicke 1894)
Bei der Widerauffindung befanden sich die Bernauer Kästen und besonders die empfindlichen Kronen in einem existentiell bedrohten Zustand. Doch was zunächst niemand so recht für möglich gehalten hatte, gelang! Dank zahlreicher Sponsoren und Förderer konnten inzwischen fünf Kronenkästen mit insgesamt acht Kronen restauriert werden. Ein sechstes Gehäuse und seine Krone befinden sich in Arbeit. Zwei Kästen werden auf Grund des fragilen Zustandes ihrer Kronen nur äußerlich gereinigt. Auch die beiden leeren Gehäuse sollen noch eine Reinigung erfahren. Da dem Konservieren deutlich der Vorrang vor dem Restaurieren eingeräumt wurde, konnte die Authentizität der Objekte weitgehend bewahrt werden. Die sechs restaurierten Kronenkästen werden im August wieder im Kirchenraum aufgehängt, die übrigen vier Gehäuse auf dem Schülerchor sichergestellt. Im Rahmen der Ausstellung besteht die einmalige Gelegenheit, die reich geschmückten, fragilen Bernauer Totenkronen vier Wochen lang aus der Nähe zu betrachten. Zur Ausstellungseröffnung am 3. Juli um 15 Uhr geben Kurzvorträge Einblick in die Restaurierung der Kronen.“